In vielen Industriezweigen gewinnen dreidimensionale Schaltungsträger (Molded Interconnect Devices, kurz: MID) stetig an Bedeutung. Die Integration von mechanischen, elektrischen und auch optischen Funktionen in ein Bauteil ermöglicht die Miniaturisierung und Rationalisierung von Baugruppen. Als Basis für MID-Bauteile kommen vorwiegend Spritzgussteile zum Einsatz. Unter dem Schlagwort »Additive Mechatronisierung« rückt derzeit die Entwicklung neuer Verfahren in den Vordergrund, welche die additive Erzeugung mechanischer Strukturen mit einer elektrischen Funktionalisierung kombinieren.
Zur selektiven Metallisierung von Polymeroberflächen werden vorwiegend Verfahren eingesetzt, bei denen galvanische bzw. nasschemische Prozessschritte notwendig sind. Durch eine Laserstrukturierung im Vorfeld oder Trocknungs- und Sinterprozesse im Nachgang der Metallisierung ist die Prozesskette der etablierten Verfahren vergleichsweise umfangreich. Das am Anwendungszentrum für Plasma und Photonik des Fraunhofer IST entwickelte Kalt-Plasmaspritzen ermöglicht, Polymerbauteile ohne Nasschemie und ohne Vor- oder Nachbehandlungsschritte selektiv zu metallisieren. Die nebenstehenden Abbildungen oben und in der Mitte zeigen Ausschnitte eines solchen MID-Bauteils.
Hauptmerkmal des Kalt-Plasmaspritzens ist die Verwendung eines aus Luft oder Stickstoff erzeugten Plasmastrahls mit einer niedrigen Temperatur. In das Prozessgas werden ultrafeine Partikel eingespeist und das Beschichtungsgut kann effizient in einem niederthermischen Plasmajet aufgeschmolzen werden. Zugleich ist der Prozesswärmeübertrag minimal. Somit gelingt es, thermisch und mechanisch empfindliche Unterlagen wie Polymer- und Elastomerbauteile, Naturwerkstoffe wie Holz und Papier oder dünne Folien schadlos mit Metallbeschichtungen zu vergüten.
Die Schichtherstellung gelingt ohne den Einsatz von Bindemitteln. Pro Übergang lassen sich Schichtdicken von 5 bis 20 μm bei ca. 100 mm/s Beschichtungsgeschwindigkeit realisieren. Die Objekte werden zudem bei Umgebungsdruck veredelt, sodass das Verfahren in komplexere Prozessabläufe inline-fähig integriert werden kann. Aufgrund des hohen Automatisierungsgrads und der kinematischen Flexibilität robotergestützter Beschichtungsanlagen können auch anspruchsvolle 3D-Schaltungsträger und Bauteile realisiert werden (vgl. nebenstehende Abbildungen oben und unten). Möglich ist es, auf Kunststoffen ein breites Spektrum von Funktionsschichten herzustellen. Beispielsweise können Kunststoffe zur Stabilisierung des Substrats metallisiert oder mit einer hohen elektrischen oder thermischen Leitfähigkeit oder antibakterieller Wirkung ausgestattet werden. Weitere Anwendungsbeispiele sind hochstromtragfähige Schichtsysteme, Beschichtungen zur Abschirmung elektromagnetischer Strahlung, Wärmeleitschichten, flexible Leiterbahnen oder dekorative Schichten.
Ein wichtiger Vorteil bei der Anwendung des Kalt-Plasmaspritzens zur Herstellung von MID-Bauteilen ist, dass Mehrfach-Schichtsysteme realisiert werden können. Die möglichen Schichtmaterialien umfassen verschiedenste Metalle und Kunststoffe. Die große Bandbreite von Schichtwerkstoffen ermöglicht auch unterschiedlichste Materialkombinationen: So lassen sich leitfähige Schichten mit Schutzschichten ausstatten, die Degradationen unter mechanisch oder chemisch belastenden Umgebungsbedingungen unterbinden. Haftvermittelnde Grundierungen können zudem die Schichtadhäsion verbessern. Des Weiteren ermöglicht die gezielte Kombination von Einzelschichten die Reduzierung lokaler Schichtspannungen, z. B. in Übergangsbereichen zwischen Werkstoffen mit unterschiedlichem thermischen Ausdehnungsverhalten.
Ein weiterer Vorteil ergibt sich durch die Verwendung von bimodalen Kompositpartikeln: Trägerpartikel können mit einem anderen Material umhüllt oder beladen werden. Die Verwendung solcher Kompositpartikel ermöglicht die Reduzierung von Störstellen oder Oxidphasen und verbessert somit die mechanischen und elektrischen Schichteigenschaften. Durch die Verwendung von Mischpulvern, in denen unterschiedliche Metalle als Partikel vorliegen, können verschiedene Materialeigenschaften miteinander kombiniert werden.
Das Kalt-Plasmaspritzen wird am Fraunhofer IST geräte- und verfahrenstechnisch kontinuierlich weiterentwickelt. Gegenwärtig liegt der Fokus auf der Integration von inline-fähigen Diagnosesystemen wie der Messung der Spritzstrahl- und Objekttemperatur, auf qualitätssichernden Analysemethoden wie der ortsaufgelösten Wirbelstrommessung sowie auf Verfahrensoptimierungen bei der selektiven Metallisierung mit spezifischen Maskierungstechniken und auf einer Kombination von 3D-Druckverfahren mit dem Kalt-Plasmaspritzen.