Ein Blick hinter die Kulissen des Projekts »BioPlas4Paper«

Interview /

Wie kann man die Materialeigenschaften von Papier optimieren? Was muss getan werden, um neue Einsatzmöglichkeiten für den Werkstoff Papier zu erschließen? Welche Rolle spielen dabei das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST aus Braunschweig, das Thünen-Institut für Holzforschung in Hamburg und die TU Darmstadt? Wir haben nachgefragt, wer und was hinter dem Projekt »Biomimetische Plasmapolymere zur Funktionalisierung von Papier«, kurz »BioPlas4Paper« steckt.

Dr. Andreas Geißler, Projektleiter am Fachbereich Makromolekulare Chemie & Papierchemie der TU Darmstadt ist Koordinator des Projekts »BioPlas4Paper« und leitet das Teilvorhaben »Papiertechnologie«.

Dr. Kristina Lachmann, Leiterin Medizintechnik und pharmazeutische Systeme am Fraunhofer IST, verantwortet das Teilvorhaben »Prozessentwicklung und -optimierung«, das maßgeblich von Martin Bellmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IST, bearbeitet wird.

Dr. Jörn Appelt leitet die Arbeitsgruppe »Thermochemische Konversion« am Thünen-Institut für Holzforschung und das Teilvorhaben »Biogene Präkursoren«. 

Forschende am Fraunhofer IST nutzen Pflanzenöle, um Papier wasserabweisend zu gestalten.
© Fraunhofer IST using Adobe Firefly
Forschende am Fraunhofer IST nutzen Pflanzenöle, um Papier wasserabweisend zu gestalten.

Lieber Andreas Geißler, was ist das Ziel des Gesamtprojekts »BioPlas4Paper« und welche Bedeutung hat es für die Gesellschaft?

Geißler: Das Ziel des Forschungsprojektes war es, Papiere für zukünftige Anwendungen auszurüsten (primär zu hydrophobieren) ohne dabei die intrinsische Nachhaltigkeit des Materials zu konterkarieren. Aktuell werden für die Veredelung des Werkstoffes Beschichtungen oder Additive petrochemischen Ursprungs verwendet, das wollten wir unbedingt vermeiden.

Durch den Einsatz natürlicher Rohstoffe (pflanzliche Extrakte), für deren Gewinnung und Verarbeitung moderne Technologien (sCO2-Extraktion und Atmosphärendruckplasmapolymerisation) genutzt wurden, ist uns das auch eindrucksvoll gelungen.

Das Projekt »BioPlas4Paper« löst leider nicht schlagartig die Probleme, die wir uns als Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten angehäuft haben, es ist aber ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung Bioökonomie und Nachhaltigkeit. Wir präsentieren einen ganzheitlichen Lösungsansatz zur wertschöpfenden Nutzung von natürlichen Roh- und Reststoffen, der zeitnah auch für andere Industrien von Interesse sein wird.

Porträt Dr. Andreas Geißler, TU Darmstadt
Dr. Andreas Geißler, TU Darmstadt

Das Projekt gliedert sich in drei Teilvorhaben. Worum geht es im Einzelnen?

Geißler: Wie fragmentieren eigentlich die Präkursormoleküle bei Energieeintrag, wie reagieren sie zu einem Polymernetzwerk und welche Eigenschaften hat das so erzeugte Material als Papierbeschichtung? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Teilprojekt in Darmstadt. Es wird also ein Bogen gespannt von den Reaktionsmechanismen und der Kinetik der Plasmapolymerisation über grundlegende Polymercharakterisierungen und mikroskopische Verteilungsnachweise im Fasergefüge bis hin zur Funktionsprüfung der modifizierten Papiere in Wechselwirkung mit Wasser. 

Lachmann: Im Teilprojekt des Fraunhofer IST »Prozessentwicklung und -optimierung« wurden das Plasmaquellensystem, der Beschichtungsprozess und Trägergase zur Polymerisation biogener Präkursormoleküle entwickelt, ausgewählt und optimiert. Eine Funktionalisierung und Beschichtung von Papiersubstraten erfolgte daraufhin mittels PECVD (Plasma Enhanced Chemical Vapor Deposition). Die applizierten Schichten wurden hinsichtlich ihrer Oberflächentopographie und Oberflächenchemie analysiert. Zudem wurde die Gasphasenchemie im Plasmaprozess sowie in der Prozessabluft untersucht. Abschließend erfolgte die Konzeptionierung einer Prozessintegration in einem Technikumsaufbau.

Appelt: Das Teilprojekt des Thünen-Instituts umfasst die strategische Auswahl geeigneter technischer Nebenprodukte und Reststoffe wie Pyrolyseöl, Tallöl und Robinienrinde bzw. Robinienholz zur Polymerisation biomimetischer Strukturen. Es erfolgt eine chemische und physikalische Charakterisierung der Präkursoren. Zudem werden geeignete Fraktionen aus diesen komplexen, biogenen Reststoffen und Nebenprodukten isoliert. Verschiedene Varianten werden hinsichtlich der Anforderungen an das Einsatzmaterial sowie des Extraktionserfolgs überprüft. Abschließend wird eine Analytik auf mögliche Gefahrenpotenziale beim Recycling und bei der Verwertung der neuen Produkte durchgeführt.

Porträt Dr. Jörn Appelt
© Thünen-Institut/Christina Waitkus
Dr. Jörn Appelt, Thünen-Institut für Holzforschung

Welche Ergebnisse habt ihr bisher erzielt und wie geht es weiter? 

Appelt: Wir konnten zeigen, dass verschiedene Fraktionen mit unterschiedlichen Viskositäten und Zusammensetzungen aus Pyrolyseöl mittels überkritischer CO2-Extraktion gewonnen werden konnten. Ebenso war es möglich, aus Rohtallöl – eine zähe und klebrige Masse – fettsäurereiche Fraktionen zu extrahieren. Bei beiden Einsatzstoffe zeigte sich, dass man durch geschickte Auswahl der Extraktionsparameter sowie der Abscheidung der Präkursoren aus dem Gasstrom die Zusammensetzung und die physikalischen Parameter wie die Viskosität beeinflussen kann. Es wurde deutlich, dass man biogene Neben- oder Restströme schonend fraktionieren kann und diese Mischungen dann auch in der Plasmapolymerisation eingesetzt werden können. Für weitere Folgeprojekte stellt sich die Frage, inwieweit wir auch Präkursoren aus festen Rest- und Nebenprodukten wie Rinden oder Resthölzer für die Beschichtung mittels Plasma verfügbar machen können.   

Martin Bellmann
Martin Bellmann, Fraunhofer IST

Bellmann: Das Projektergebnis des zweiten Teilvorhabens ist ein innovativer Atmosphärendruck-Plasmaprozess, der unter Ausschluss von Umgebungsluft homogene und reproduzierbare Schichten erzeugt. Diese biobasierten Schichten können, je nach verwendetem Präkursor, hydrophil, hydrophob oder sogar antibakteriell sein und auf thermosensitiven Materialien wie Papier aufgetragen werden. Dabei ist es wichtig, schonende Parameter zu verwenden, um die potenzielle biomimetische Charakteristik des Ausgangsmaterials zu bewahren. Dank des Wirkprinzips der neuartigen Plasmaquelle bleibt der Prozess bis zu einem gewissen Grad stabil gegenüber Schleppluft, die bei höheren Prozessgeschwindigkeiten auftritt.

Durch einen engen Kontakt zu 4evergreen – einem branchenübergreifenden Zusammenschluss von über 100 Mitgliedern, die den gesamten Lebenszyklus von Verpackungen aus Fasern repräsentieren – sowie zur Verpackungs- und Textilindustrie soll das bestehende Potenzial voll ausgeschöpft und in weiteren Forschungsprojekten intensiviert werden. Bereits jetzt besteht großes Interesse an der Thematik seitens der Verpackungs- und Textilindustrie.

Geißler: Es ist gelungen, Papiere mit geringsten Mengen pflanzlicher Extrakte (Öle) im Atmosphärendruckplasma zu beschichten und diese dadurch nachhaltig zu hydrophobieren. Wir konnten die entstehenden Polymernetzwerke charakterisieren und deren kovalente Anbindung an die Cellulose bestätigen. Über die Wahl der Präkursoren und der Plasma-Prozessparameter war es möglich die Eigenschaften der Beschichtungen hinsichtlich Dicke, Topographie und Funktionalität zu beeinflussen. Letztendlich konnte das gesamte Beschichtungskonzept in einen Inline-Versuch übertragen werden, in dem die Papierbahn mit bis zu 16 m/min behandelt wurde.

Basierend auf diesen Erfolgen ergeben sich vielfältige Optionen sowohl forschungsseitig als auch bezüglich Upscaling und industrieller Anwendung. Da das »BioPlas4Paper«-Projekt gerade abgeschlossen wird, planen wir Folgevorhaben, die sich noch tiefer mit der Vielfalt potenzieller Präkursoren befassen, erweiterte Funktionsprüfungen der Beschichtungen auch unter Nutzungsbedingungen vorsehen und die fundierte Betrachtungen zu den End-of-Life-Szenarien dieser Materialien beinhalten. 

Eine persönliche Frage zum Schluss: Was bleibt euch in Erinnerung, was war euer persönliches Highlight im Projekt?

Geißler: In den fünf Jahren von der Anbahnung des Projektes bis zu seinem Abschluss gab es sehr viel Positives, das mir in Erinnerung bleiben wird. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit, die gemeinsamen Treffen und Veranstaltungen, die engagierten Doktorand:innen, die tollen Veröffentlichungen und natürlich, dass wir es wirklich geschafft haben, die Vision des Projektes in die Realität umzusetzen. Wenn ich mich auf ein Highlight festlegen muss, dann würde ich den finalen Rolle-zu-Rolle Beschichtungsversuch bei der PTS wählen. Obwohl die Vorbereitung und Abstimmung dazu ausschließlich online erfolgten, haben alle angefertigten Bauteile gepasst und der Versuch lief reibungslos. Zu sehen, wie aus einer Projektidee »plötzlich« ein kontinuierlicher Beschichtungsprozess geworden ist, war sehr beeindruckend.

Lachmann: Mir hat die gute Zusammenarbeit und die hohe Motivation – insbesondere der Doktorand:innen – sehr gut gefallen. Vor allem die Projekttreffen in Präsenz werden mir in Erinnerung bleiben. Die Führungen vor Ort geben immer wieder spannende Einblicke in die Arbeiten der beteiligten Partner und helfen, deren Technologien und Herausforderungen besser zu verstehen. Ein Highlight war auch ein gemeinsamer Workshop, in dem wir verschiedene Ideen gesammelt haben, die wir zukünftig gemeinsam angehen können. 

Kristina Lachmann
Dr. Kristina Lachmann, Fraunhofer IST

Bellmann: Die positive Stimmung, die bereits bei Beginn der Ideenfindung und Antragstellung herrschte, hat sich während der Projektlaufzeit weiter gefestigt. Dies hat zu einem reibungslosen Ineinandergreifen der erforderlichen Arbeiten geführt. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Beteiligten war stets interessant und motivierend. Das freundschaftliche Miteinander hat eine optimale Basis für zukünftige Kooperationen geschaffen. Mein Fazit: Besser hätte das Projekt nicht laufen können. Ich danke allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit und freue mich auf zukünftige Projekte!

Appelt: Von der Antragsphase bis zum Abschluss des Projektes hatten wir eine sehr produktive und ergebnisorientierte Arbeitsweise in einem tollen Team aller Projektmitarbeitenden. Dabei sind sehr gute Ergebnisse, sowie Veröffentlichungen und Tagungsbeiträge entstanden. Die Projektmeetings, ob online oder in Präsenz waren von diesem gemeinsamen Miteinander geprägt. Dies hat uns über knifflige Zeiten, wie sie in jedem Forschungsprojekt vorkommen, hinweggeholfen und zum Erfolg geführt. Ein Highlight neben den tollen wissenschaftlichen Ergebnissen war für mich, zu sehen, wie weit man mit einer Idee und einer strukturierten und konzentrierten Arbeitsweise kommen kann. Nämlich soweit, dass sich eine Vielzahl von Ideen für weitere Projekte ergeben haben, die wir zukünftig gemeinsam verfolgen wollen.  

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