Kann Glas Wärme spiegeln?
Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Nein, falls es nicht beschichtet ist.
Jeder Körper mit einer Temperatur oberhalb des absoluten Nullpunkts (-273,15 °C) emittiert elektromagnetische Strahlung, deren Wellenlänge λ mit seiner absoluten Temperatur T in Kelvin (K) durch das Wiensche Verschiebungsgesetz (nach seinem Entdecker Wilhelm Wien (1864 – 1928)) verknüpft ist. Die Evolution schenkte uns Augen, mit deren Hilfe wir einen winzigen Ausschnitt aus dem elektromagnetischen Spektrum, nämlich Wellenlängen zwischen etwa 400 nm und 750 nm, sehen können. Langwelligere Strahlung empfinden wir als Wärme, kurzwelligere Strahlung bräunt unsere Haut und schädigt sie, wenn solche Strahlung im Übermaß genossen wird. Bei der Wärmestrahlung haben wir zwischen dem Nahen (NIR, λ = 780 … 3.000 nm), dem Mittleren (MIR, λ = 3.000 … 50.000 nm) und dem Fernen (FIR, λ = 50.000 … 1.000.000 nm) Infrarot zu unterscheiden.
Die Wiensche Formel (1) liefert das Maximum der Planckschen Strahlungsverteilung (auf deren nähere Diskussion hier aus Platzgründen verzichtet werden soll), die jedem Körper eigen ist. Die Körpertemperatur des gesunden Menschen liegt bei 37 °C oder rund 310 K, seine »persönliche« Wärmestrahlungsverteilung besitzt nach Wien also ein Maximum bei 9,3 µm, und er strahlt eine Leistung von 100 W ab (beim unbekleideten Körper wären es 200 W, aber die Kleidung, die ihn vor dem Auskühlen bewahrt, hält 100 W zurück). Wiens Gesetz liefert im übrigen auch die Oberflächentemperatur der Sonne auf komfortable Weise, ohne dass eine Messung vor Ort notwendig ist. Das Maximum ihrer Strahlungsverteilung liegt bei etwa 500 nm (siehe Abb. 1), daraus errechnet sich eine Temperatur von 5.800 K.
Doch kommen wir zurück zum Architekturglas, und in diesem Zusammenhang spielt die Strahlungsverteilung in einem geheizten Raum eine wichtige Rolle. Bei einer komfortablen Temperatur von 20 °C liegt deren Maximum bei 10 µm.
Fällt eine elektromagnetische Welle wie Licht oder Wärmestrahlung auf Materie, insbesondere eine Glasscheibe, so erfolgt die Wechselwirkung durch Transmission, Reflexion und Absorption. Die drei Größen sind wellenlängenabhängig, nach dem Energieerhaltungssatz ist ihre Summe gleich 1 oder 100 %.
Abbildung 1 zeigt die physikalischen Eigenschaften von Flachglas im Wellenlängenbereich zwischen etwa 400 nm und 15.000 nm. Dargestellt ist ebenfalls das Strahlungsspektrum der Sonne. Für unsere weiteren Überlegungen interessiert allerdings der Bereich der Raumtemperaturstrahlung um 10 µm im MIR. In diesem Bereich ist T = 0, der Mittelwert von R liegt bei etwa 15 %. Nach (2) absorbiert die Scheibe also 85 % der auftreffenden Temperaturstrahlung. Absorption heißt Erwärmung, aus Erfahrung wissen wir jedoch, dass die Fensterscheibe immer kalt bleibt. Sie sucht das ther-mische Gleichgewicht mit ihrer Umgebung und transportiert daher konti-nuierlich die aufgenommene Wärmeenergie in den kälteren Außenraum.
Das Fenster wirkt als Kälteloch oder Kältebrücke. Man spricht in diesem Zusammenhang von hohem Emissionsvermögen oder hoher Emissivität. Im Infrarotbereich gilt für das Emissionsvermögen ε die Beziehung (3), d.h. für die Scheibe ist ε = 0,85 oder 85 %.
Der Wärmedurchgang durch eine Platte der Fläche F, die zwei Medien mit den Temperaturen T1 und T2 trennt, wird beschrieben durch die Gleichung (4). Der Proportionalitätsfaktor k heißt Wärmedurchgangskoeffizient und wird in der Bauphysik k-Wert genannt. Seine Einheit ist W/m²K.
In der Isolierglas-Terminologie wurde im Rahmen der Einführung der Energiesparverordnung der k-Wert durch den Ug-Wert ersetzt. An der bauphysikalischen Bedeutung des Wärmedurchgangskoeffizienten änderte sich dadurch nichts.
Einfachverglasungen, wie sie im mittleren und nördlichen Europa wohl kaum noch zu finden sind, haben einen Ug-Wert von 5,8 W/m²K. Gut gedämmtes Mauerwerk bringt es dagegen auf 0,3 – 0,2 W/m²K.
Drei Stufen einer Wärmeschutzverordnung (WSchVO) von 1977, 1984 und 1995 sowie die Energieeinsparverordnung (EnEV) von 2002 haben zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung des Konstruktionselements Fenster geführt. In der ersten Stufe wurde aus der Einfachverglasung die Doppelverglasung oder Isolierglaseinheit, die zu einer Reduzierung des Ug-Wertes auf 3,0 W/m²K führte. Die physikalischen Eigenschaften des Glases, d.h. die hohe Emissivität, blieben dabei allerdings unverändert.
Polierte Metalloberflächen bzw. metallische Beschichtungen reflektieren nicht nur Licht, sondern sind aufgrund ihrer elektrischen Leitfähigkeit auch hervorragende Wärmespiegel bis ins fernste Infrarot. Silber erreicht bei Wellenlängen von mehr als 1.000 nm Reflexionswerte von 98 – 99 %. Für die Verwendung im Fenster ist allerdings gleichzeitig eine hohe Lichttrans-mission erforderlich. Silberschichten mit Dicken um 10 nm erfüllen auch diese Anforderung. Abbildung 2 zeigt schematisch den Aufbau einer einfachen Wärmedämmbeschichtung. Für einen langzeitstabilen Einsatz des Fensters wird das Silber in weitere Schichten »eingepackt«. Das Schichtpaket ist nur im direkten Vergleich mit der unbeschichteten Scheibe und für das geübte Auge sichtbar.
Die Wirkung der Schicht im infraroten Spektralbereich wird in Abbildung 3 demonstriert. Während sich die Lichttransmission nur unwesentlich ändert, steigt das Reflexionsvermögen im Bereich der Raumtemperaturstrahlung auf Werte größer als 90 %, entsprechend sinkt das Emissionsvermögen auf Werte kleiner als 10 %. Man spricht von niedrigemittierender oder Low Emissivity Verglasung. Der typische Ug-Wert einer beschichteten Doppelglaseinheit liegt bei 1,3 – 1,1 W/m²K.
Ausgehend von den ersten Schichtvarianten entsprechend Abbildung 2 wurden in den vergangenen Jahren die Systeme kontinuierlich modifiziert und weiterentwickelt. Dabei blieb das Silber der Kern der Beschichtung, man findet heute Zwei- oder Dreifachsilber-Schichtstapel mit entsprechen-den Zwischenschichten. Die Herstellung der Wärmedämmschichten erfolgt auf Glasscheiben mit Abmessungen bis zu 3,21 m x 6,00 m. Einige hundert Anlagen sind weltweit installiert, die produktivsten unter ihnen schaffen einen Jahresdurchsatz von 9 Mio. m².
Ein Ug-Wert von 1,1 W/m²K bedeutet keinesfalls die Grenze des Erreichbaren. Heute sind Dreifachverglasungen mit zwei beschichteten Glasoberflächen bereits weit verbreitet. Mit einer Kryptongasfüllung in den Scheibenzwischenräumen (schwere Gase besitzen eine niedrige Wärmeleitfähigkeit) liegt deren Ug-Wert bei 0,5 W/m²K.
Die Energiebilanz von Wärmedämmbeschichtungen ist bemerkenswert: Der verglasungsbedingte Heizölverbrauch sinkt bei einem Ug-Wert von 0,5 W/m²K auf weniger als 10% der unbeschichteten Einfachverglasung. Aus der Umweltbilanz eines Glasbeschichtungsunternehmens geht hervor, dass wärmedämmbeschichtetes Glas während einer geplanten Lebensdauer von 30 Jahren 4.000 mal mehr Energie einspart, als zu seiner Herstellung inklusive des Baus der Beschichtungsanlage notwendig ist (Quelle: Interpane).
Dass man heute vor allem für spektakuläre Architekturprojekte oder im Bereich öffentlicher Gebäude zunehmend dem Konstruktionswerkstoff Glas den Vorzug gegenüber den klassischen Werkstoffen Beton oder Stein gibt, ist weithin sichtbar. Die Dünnschichttechnik hat dazu beigetragen, dass das Bauen mit Glas auch vom energetischen Standpunkt keine Nachteile mehr in sich birgt und dass damit einer modernen und ästhetischen Glasarchitektur praktisch keine Grenzen gesetzt sind.
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