Im Fokus: Oberflächentechnik für das Gesundheitswesen

Oberflächen spielen in Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern oder Arztpraxen eine zentrale Rolle bei der Übertragung von Infektionen. Um dieses Risiko zu minimieren, müssen sie regelmäßig und gründlich gereinigt und desinfiziert werden. Dies gilt für Betten, Sitzgelegenheiten, Türgriffe und Lichtschalter ebenso wie für Arbeitsflächen, medizinische Geräte und vieles mehr. 

Zusätzlich können Beschichtungen oder Modifikationen der Oberflächen selbst dazu beitragen, die Hygiene zu verbessern und Infektionen vorzubeugen. Das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST entwickelt dazu antimikrobiell wirksame und leicht zu reinigende Oberflächen, umweltfreundliche Reinigungssysteme sowie nachhaltige Interieurkonzepte, die nicht nur im Gesundheitswesen Anwendung finden können.

Das »Patientenzimmer der Zukunft« in Braunschweig

Patientenkomfort und eine sichere Versorgung schließen sich nicht aus. Das demonstrieren das Fraunhofer IST, das Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau der TU Braunschweig und das Städtischen Klinikum Braunschweig im »Patientenzimmers der Zukunft«. Das Reallabor wurde 2022 auf dem Gelände des Klinikums aufgebaut. Im Rahmen der Kooperation sollen anwendungsbezogene Fragestellungen mit einem Fokus auf Infektionsprävention und Reinigung in der Normalpflege bearbeitet werden. Die Schwerpunkte liegen dabei in der Entwicklung innovativer, praxistauglicher baulich-technischer Musterlösungen, smarter Materialien und Oberflächen sowie zukunftsfähiger Ausstattungselemente und Produkte. Nach dem Motto »from bedside to bench and back« werden im Reallabor fortlaufend neue Ideen umgesetzt, Fragestellungen aus dem Praxisalltag des Klinikums in die Forschung transferiert und innovative Lösungen hinsichtlich ihrer praktischen Eignung im Patientenzimmer überprüft. 

Damit die Ideen einen schnellen Weg in die Anwendung finden, arbeiten die drei Forschungspartner eng vernetzt mit verschiedenen Herstellern zusammen. Im begleitenden Industrie­konsortium sind aktuell 20 Partner aktiv. Es werden regelmäßig weiterführende Forschungsprojekte angestoßen, wobei mit Blick auf die Maximierung der Effizienz und Effektivität die Bedarfe aus angrenzenden Branchen berücksichtigt werden. Fragestellungen, die für das Fraunhofer IST im »Patientenzimmer der Zukunft« im Fokus stehen, orientieren sich dabei an folgenden Themen: 

Resiliente Oberflächen zur Infektionsprävention

Neue Reinigungs- und Desinfektionssysteme für Oberflächen und Geräte

Kreislauffähigkeit eingesetzter Materialien und Prozesse

Digitalisierung

 

»Das ›Patientenzimmer der Zukunft‹ ist mehr als ein Raum mit zwei Betten und zwei Nasszellen.« 

Dr. Kristina Lachmann, Projektleiterin

Oberflächen & Reinigung

Den im Patientenzimmer eingesetzten Oberflächen und Materialien kommt ebenso wie den Reinigungsabläufen eine entscheidende Rolle zu. Das Reallabor enthält alle Komponenten eines Zweibettzimmers der Normalpflege, mit der Besonderheit, dass zwei Nasszellen integriert sind. Um ein möglichst breites Spektrum an Materialien und Möglichkeiten der Bauteilverarbeitung abzubilden, sind die Nasszellen unterschiedlich gestaltet. So kann der Einfluss von Fugen oder Wandabschlüssen sowie der Einsatz verschiedener Materialien oder Designs der Badkeramiken oder Armaturen vergleichend untersucht werden.

Im Zimmer selbst werden unterschiedliche Materialien eingesetzt, z. B. Fußbodenbelege aus Kunststoff, Holzfurniere oder Lederimitat. Die chemischen und topographischen Eigenschaften von Oberflächen spielen für die Anhaftung von Schmutz oder Mikroorganismen eine wichtige Rolle. 

Letztere können dazu führen, dass durch Kontakt- und Schmierinfektionen Krankheiten von einer Person auf andere übertragen werden. Insbesondere in sensiblen Bereichen wie Krankenhäusern oder Seniorenheimen, aber auch im öffentlichen Raum kann dies bei immunsupprimierten, geschwächten Patienten zu schwerwiegenden Infektionen führen. 

Während aerosolgetragene Keime wie z. B. das Coronavirus durch Tröpfchen verbreitet werden, haften »schwerere« Bakterien wie multiresistente Keime oft auf Oberflächen oder Fußböden. 

Die im Rahmen des Patientenzimmers der Zukunft entwickelten und zu entwickelnden Materialien und Oberflächen haben ein großes Anwendungspotenzial, auch weit über das Gesundheitswesen und die Pflege hinaus.

Langlebige und robuste Oberflächen, die leicht zu reinigen sind und weniger schnell und stark verschmutzen sowie alternative nachhaltige Reinigungsverfahren finden u. a. in öffentlichen Einrichtungen, im stationären Handel, in der Gastronomie, im Bereich des Personentransports und auch in Privathaushalten vielfältige Anwendungen.

 

Weitere Informationen:

Funktionelle Oberflächen und Beschichtungen im Patientenzimmer der Zukunft

Hygiene und Reinigung durch Plasma- und Oberflächentechnik

Krankenhaushygiene und automatisierte Reinigungssysteme

Luftreinigung zur Reduzierung aerosolgetragener Keime

Robotergeführte Plasmabehandlung von 3D-Oberflächen

Holzfurnier mit Antischmutz-Beschichtung.
© Fraunhofer IST
Holzfurnier mit Antischmutz-Beschichtung.
Verschleißschutzfeste antibakterielle Beschichtungen auf einem Türgriff.
© Fraunhofer IST
Verschleißschutzfeste antibakterielle Beschichtungen auf einem Türgriff.
Robotergeführte Plasmabeschichtung einer Fliese.
© Fraunhofer IST
Robotergeführte Plasmabeschichtung einer Fliese.
In Zusammenarbeit mit der HAWK Göttingen und dem Fraunhofer WKI haben die Forschenden des Fraunhofer IST einen Luftreiniger entwickelt, der die Vorteile von Plasma, UV-C und Photokatalyse miteinander vereint. Dabei erfüllt der »PlasmaAirCleaner« die Funktion der Luftreinigung und ermöglicht zeitgleich eine Oberflächendesinfektion beispielsweise in Krankenhauszimmern.
© Fraunhofer IST
In Zusammenarbeit mit der HAWK Göttingen und dem Fraunhofer WKI haben die Forschenden des Fraunhofer IST einen Luftreiniger entwickelt, der die Vorteile von Plasma, UV-C und Photokatalyse miteinander vereint. Dabei erfüllt der »PlasmaAirCleaner« die Funktion der Luftreinigung und ermöglicht zeitgleich eine Oberflächendesinfektion beispielsweise in Krankenhauszimmern. Durch eine spezielle »Bypass-Funktion« soll die durchströmende Raumluft entweder durch die Aktivkohle oder an ihr vorbei geleitet werden können. Im »Aktivkohle-Modus« müssen dabei sämtliche Richtwerte für Gaskonzentrationen im Raum eingehalten werden.
PlasmaAirCleaner mit rotem Licht.
© HAWK, Foto: Clara Valentin, Dorothea Wagnerberger
Im »Bypass-Ozon-Modus« sollen hingegen die Oberflächen im Raum durch ausströmendes Ozon entkeimt werden. Rotes Licht signalisiert den aktivierten Ozon-Modus.

Desinfektion

Reinigung und Desinfektion hängen unmittelbar mit der Infektionsprävention in Krankenhäusern zusammen und sind durch Hygienepläne festgelegt, die sich an den Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) orientieren. In Abhängigkeit von z. B. der Fläche, vorhandenen Geräten, den Böden oder auch der Art der Räume werden hier unterschiedliche Vorgaben gemacht und verschiedene chemische Reinigungsmittel empfohlen.

Das Fraunhofer IST besitzt langjährige Erfahrung in der Entwicklung neuer Plasmaquellen oder dem Einsatz elektrochemischer Systeme auf der Basis von Diamantelektroden. Beides kann zur Reinigung und Desinfektion eingesetzt werden und besitzt das Potenzial eines »grünen Reinigungs- und Desinfektionsmittels«.  

Reaktive Spezies zur Entfernung von organischen Kontaminationen oder der Bekämpfung von Mikroorganismen werden in beiden Systemen durch Einsatz von Luft, Wasser und Strom gewonnen. 

Im Patientenzimmer der Zukunft soll untersucht werden, inwieweit diese nachhaltigen und ressourcenschonenden Systeme in der Praxis gegenüber konventionellen Reinigungssystemen bestehen können und ob sich die Materialeigenschaften der Ausstattungselemente durch Einsatz dieser Verfahren verändern.

Dabei wird auch das Potenzial der Automatisierung von Reinigungsprozessen und einer integrierten Qualitätskontrolle berücksichtigt. Reinigungs- und Desinfektionssysteme ohne chemische Zusatzstoffe haben ebenso wie robuste leicht zu reinigende Oberflächen ein breites Anwendungsspektrum.

Eine optimale Abstimmung von Reinigungssystem und zu reinigender Oberfläche erlaubt die Entwicklung nachhaltiger Interieurkonzepte und hilft dabei, Kosten zu sparen und die Umwelt zu schonen.


Weitere Informationen:

Wasseraufbereitung im Krankenhaus

Diamantelektroden zur Desinfektion

Circular Economy

An Oberflächen und Materialien in Krankenhäusern werden hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer chemischen und mechanischen Beständigkeit gestellt. Trotzdem kann es notwendig sein, bestimmte Komponenten in Räumen auszutauschen, aufzubereiten oder zu erweitern. Gemeinsam mit den Architekten des IKE der TU Braunschweig wollen die Forschenden des Fraunhofer IST untersuchen, wie Patientenzimmer modular gestaltet werden können. Dies ist z. B. dann relevant, wenn, wie im Pandemiefall plötzlich eine erhöhte Anzahl an Isolierzimmern benötigt werden oder im Katastrophenfall die Anzahl an Zimmern mit erhöhter Versorgungsstufe nicht ausreicht.

Eine modulare Raumgestaltung fördert auch einen nachhaltigen Einsatz von Ressourcen. Ist es möglich, nur bestimmte Ausstattungselemente auszutauschen? Wie müssen diese gestaltet, montiert oder beschaffen sein, damit ein Austausch kosteneffizient im Betrieb gelingt? 

Auch hier gilt: Lösungen, die in diesem Kontext entwickelt werden, sind nicht nur auf ihre Anwendung in Krankenhäuser beschränkt. 

Sie lassen sich – zugeschnitten auf die spezifischen Anforderungen und Rahmenbedingungen – auch in andere Bereiche übertragen, z. B. die Raumgestaltung von Hotelzimmern, Gemeinschaftseinrichtungen oder Wohnmobilen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ein modularer Aufbau mit austauschbaren Elementen ist ein Ansatz, um die Nutzungsdauer vorhandener Räumlichkeiten nachhaltig zu verlängern. Doch dies ist nur ein Aspekt.

Digitalisierung

Langfristiges Ziel des Fraunhofer IST ist die Erstellung eines digitalen Zwillings des Patientenzimmers, um bereits im Vorfeld schnell und kostengünstig verschiedene Konstellationen im Hinblick auf die optimale Ausgestaltung des Raumes sowie der Prozesse und Bedingungen im Rahmen der Versorgungsforschung und unter der Prämisse des Infektionsschutzes zu testen. Digitalisierung leistet auch in Krankenhäusern einen wichtigen Beitrag zum Fortschritt und zur Nachhaltigkeit. Sie ist ein Schlüssel für mehr Energie- und Ressourceneffizienz, für mehr Patientenkomfort und eine Entlastung des Personals.

Durch Digitalisierung, die eine entsprechende Datenerfassung voraussetzt, lassen sich Arbeitsabläufe verbessern und gleichzeitig die medizinische Versorgung optimieren. 

Bei der Erfassung der Daten kommt sensorischen Systemen eine besondere Bedeutung zu, zum einen in Bezug auf die Überwachung des Patientenstatus, zum anderen aber auch zur kontinuierlichen Ermittlung und optimalen Einstellung der Umgebungsbedingungen wie z. B. des Raumklimas. 

Die Digitalisierung hängt darüber hinaus unmittelbar mit Fragestellungen zur Nachhaltigkeit und dem Einsparen von Ressourcen zusammen.

Perspektivisch könnte das Patientenzimmer der Zukunft mit einem digitalen Zwilling ausgestattet werden, um bereits im Vorfeld schnell und kostengünstig verschiedene Konstellationen im Hinblick auf die optimale Ausgestaltung des Raumes sowie der Prozesse und Bedingungen im Rahmen der Versorgungsforschung und unter der Prämisse des Infektionsschutzes zu testen und um Stoffströme sowie Energieflüsse aufzunehmen.

 

From Bench to Bedside – nachhaltige Lösungen aus der Forschung

Das Patientenzimmer der Zukunft